Liebe Alumni, liebe
Studierende,
am 9.11.1989 ist Frau
Prof. Dr. Gertrud Weismantel ganz plötzlich im Alter von 73 Jahren verstorben.
Als Nachfolgerin auf ihrem Lehrstuhl am Institut für Kunstpädagogik seit 1984
hatte ich sie noch vor allem bei dem gemeinsamen Promotionsverfahren unserer
Pädagogischen Mitarbeiterin Maike Aissen-Crewett (die spätere Professorin in
Potsdam) kennen- und schätzen gelernt.
Das Gedenken zu dem
100. Geburtstag an eine der wenigen früheren Professorinnen der
Goethe-Universität ist mir ein besonderes Anliegen und ich freue mich, dass ihr
früherer Kollege Professor Wolf Spemann für den Uni-Report eine
Erinnerung an sie verfasst hat – für die er allerdings sehr strickte
Platzvorgaben einhalten musste. Im Internet finden sich leider nur
Informationen über ihren berühmten Vater Leo Weismantel, aber in meinen
Unterlagen habe ich wenigstens noch den Text meiner Ansprache bei ihrer
Beerdigung als damalige Prädekanin für den Fachbereich Klassische Philologie
und Kunstwissenschaften gefunden, aus dem ihre Persönlichkeit und ihre
wissenschaftliche Position vielleicht etwas plastischer erkennbar werden. Ich
würde mich freuen, wenn sich durch diese Anregung über das Alumni-Netzwerk auch noch weitere ehemalige Kolleginnen und
Kollegen oder ehemalige Studierende zu Wort melden würden – diese erinnern sich
vielleicht besonders an ihre letzten Veranstaltungen zum Puppenspiel am
Institut. Frau Weismantel wurde zwar schon vor mehr als 25 Jahren 1982
emeritiert – aber vielleicht haben wir ja Glück und können noch einige Spuren
ausfindig machen!
Adelheid Sievert
(-Staudte), geb. 1944, 1980-1984 Professorin für Kunstdidaktik der Primarstufe
an der Universität Gießen, 1984-2009 o. Professorin für Kunstpädagogik an der
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Zum Gedenken an Professor Dr. Gertrud Weismantel
(1916–1989)
von Prof. Dr. Wolf Spemann veröffentlicht im
UniReport | Nr.
3 | 3. Juni 2016 | Jahrgang 49 | Goethe-Universität Frankfurt am Main, S. 22.
Am 17. Juni diesen Jahres ist der 100. Geburtstag
von Frau Professor Weismantel. Sie hat über 40 Jahre unser Institut für
Kunstpädagogik entscheidend mit geprägt und den FB 9 Klassische Philologie und
Kunstwissenschaften beeinflusst. Darum soll ihr dieser Rückblick gewidmet sein.
Beruflich war ihr Lebensziel, mitzuwirken an einer Änderung der Schule, damit
Kinder und Jugendliche mehr Freude am schulischen Lernen haben. Nach dem Abitur
1935 wollte sie alle Institutionen kennenlernen, die vom Kindergarten an ein
Kind beeinflussen. Danach studierte sie in Würzburg und München Volkskunde,
Kunstgeschichte und Pädagogik. 1943 promovierte sie in Volkskunde. Seit 1947
vertrat sie in der Hessischen Lehrerbildung das Fach Werken in Jugenheim
(Bergstraße), bis sie am 01.01.1964 an unsere Universität kam. Am 04.03.1970
wurde sie zur ordentlichen Professorin für Kunsterziehung
ernannt. Gleichzeitig erhielt sie den Auftrag, ein
Pilotprojekt für das Fach Polytechnik
zu konzipieren. 1967 hatte sie einen breit
angelegten Aufsatz „Werken in der Schule der Zukunft“ veröffentlicht, der einen
handwerklich-technischen Teil vorsah. Sie meinte, die Hauptschüler kann man nur
engagieren, wenn man ihnen Aufgaben gibt, an denen sie von sich aus großes
Interesse haben: Ein Moped zerlegen, daran Physik, Mathematik und Chemie
lernen, um es wieder zusammenzubauen. Sie dachte nie in ausgefahrenen Gleisen.
Die Unerschrockenheit, mit der Gertrud Weismantel ihren Vater, den
Reformpädagogen Leo Weismantel 1944 in einem Sonderlager der GESTAPO in
Würzburg besuchte, hat sie auch 1968 gezeigt. Während andere Professoren sich
rarmachten, ging sie als Einzige zu einer institutsinternen Vollversammlung und
diskutierte mit den aufgebrachten Studenten und Studentinnen. Sie war zum
Dialog bereit, ohne von ihrer Überzeugung abzuweichen. Nach ihrer Emeritierung
1982 hat sie bis zu ihrem Tod Ende 1989 weiter an unserem Institut gelehrt. Ihr
gebührt unser herzlicher Dank.
Wolf Spemann
Ansprache zur
Trauerfeier
für Frau Prof. Dr. Gertrud Weismantel
am 15.11.1989 in Jugenheim/Bergstraße
für Frau Prof. Dr. Gertrud Weismantel
am 15.11.1989 in Jugenheim/Bergstraße
Ich möchte im Namen
des Fachbereichs Klassische Philologie und Kunstwissenschaften der Johann
Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt als Prädekanin hier sprechen, zu dem das
Institut für Kunstpädagogik gehört.
Zugleich aber auch als die Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl für Kunstpädagogik
von Gertrud Weismantel. Ich verdanke es sicher auch ihrem Wirken und ihrem
Vorbild, daß diese Stelle wieder mit einer Frau besetzt wurde.
Ich habe drei Kollegen
in Frankfurt, die den beruflichen Lebensweg von Frau Weismantel vom "Haus
am Wald" hier in Jugenheim bis nach Frankfurt mit ihr geteilt und mit ihr
zusammen erlebt haben. Uns alle möchte ich hier an diesen Teil ihres
beruflichen Lebens erinnern, der zugleich ein Beispiel dafür ist, wie
unmittelbar in den vergangenen 30 Jahren bildungspolitische Entscheidungen die
Entwicklung der Fachdidaktiken immer wieder von außen her lenkend mitbestimmt
haben. Ganz und gar kein abgeschiedener Elfenbeinturm also - sondern für Frau
Weismantel von Anfang an ein Leben in der praktischen Wissenschaft, die
0rientierung für pädagogisches Handeln
geben will, wie sie es schon im Elternhaus erfahren hatte.
Ich habe schon das "Haus am Wald" des Pädagogischen Instituts
in Jugenheim erwähnt, wo noch unter einem Dach Leben und Arbeiten mit
Studentenwohnheim, Werkstätten und Seminarräumen vereint waren. AIs Professorin
für Werkerziehung hat hier Frau Weismantel diesem Fach ein eigenständiges
Gesicht gegeben, hier hat sie das verwirklichen können, was für sie den
bildenden Gehalt dieses Faches ausmachte - in Theorie und Praxis, in intensiver
Auseinandersetzung mit Kopf, Herz und Hand, wie schon Pestalozzi gefordert
hatte.
Es scheint mir nicht
zufällig, daß sie gerade dieses Fach aus dem Spektrum der sog. "musischen
Fächer" vertreten hat, verbindet es doch in paradigmatischer Weise die
klassische Dreiheit des Zugangs zur Bildung: die ästhetische, die
wissenschaftlich-rationale und die ethisch-moralische Bildung.
Den Prozeß
der "Verwissenschaftlichung" der Lehrerbildung hat sie in
allen seinen aus heutiger Sicht durchaus korrekturbedürftigen Polarisierungen
miterlebt und -erlitten. Zum Erleiden zählte für sie selbst die Eliminierung
der Werkerziehung aus dem Fächerkatalog der Lehrerbildung 1964 und die
Auseinandersetzungen um die Entwicklung der Polytechnischen Bildung in Hessen.
Dabei stand sie dem neuen Bezugsfeld der Technik durchaus aufgeschlossen
gegenüber und leitete nach der Integration der Lehrerbildung in die Frankfurter
Universität zunächst einen Modellversuch zur Polytechnik. Erst als sie den
Eindruck gewann, daß dieses Fach in der Hauptschule ohne den für sie
unverzichtbaren schülerbezogenen praktischen Kern etabliert werden sollte,
beendete sie diese Arbeit, da sie sich immer in erster Linie dem
Erziehungsauftrag ihres Faches verpflichtet fühlte.
Auch in den heftigen Diskussionen um die Weiterentwicklung der Kunst-
und Werkerziehung Ende der 60er Jahre in
Frankfurt hat sie sich mit diesem pädagogischen Engagement im Sinne einer
praktischen Menschenbildung eingesetzt und mit großer Zivilcourage den Dialog
mit anderen Positionen aufgenommen. Auch wenn das Ergebnis nicht immer zum
Konsens führte, Respekt und Achtung für ihr eigenständiges unerschrockenes Auftreten waren ihr sicher. So habe auch ich
sie nach ihrer Emeritierung kennen und schätzen gelernt als eine Kollegin, die
den sicher für niemanden einfachen Übergang aus dem Amt und die Übernahme des eigenen Wirkungsbereiches durch eine
Nachfolgerin mit großer Souveränität und Offenheit gelebt hat.
Sie wissen alle, daß
sie bis zuletzt mit unverminderter Schaffensenergie gearbeitet hat - dies galt
auch für ihre Vorlesungen und Oberseminare im Institut für Kunstpädagogik, die für sie bis zuletzt eine lebendige und
belebende Aufgabe waren - und für alle ihre Studentinnen und Studenten ein
geistiger und menschlicher Gewinn. Auch ihr letztes Projekt einer Inszenierung
eines Puppenspiels, das nun ohne sie zu Ende geführt werden muß, verdeutlicht
noch einmal exemplarisch ihre spezifische Vorstellung von kindorientierter
ästhetischer Bildung. Am Beispiel von "Momo" sollte das Problem der
Zeit in unserer Zeit in kindgerechter Darstellungsform wirksam werden - wir
werden versuchen, es in ihrem Sinne zu einem guten Abschluß zu bringen.
Das gleiche gilt für ihr Angebot, sich an unserer
Veröffentlichung einer Ringvorlesung zur
Kunstpädagogik in Frankfurt zu beteiligen - auch hier werden wir versuchen, sie
in ihrem Sinne zu beteiligen.
Ihre weiteren und durchaus schon konkreten
Pläne für ein Kindermuseum, in die sie auch uns einbezogen hatte, wurden hier
schon angesprochen. Wir alle stehen hier ja in der gleichen Situation: Frau
Weismantel ist mitten aus einem erfüllten Leben von uns gegangen - ihr sind
damit die schmerzhaften Erfahrungen des Altwerdens erspart geblieben - wir
müssen nun sehen, wie wir die begonnenen Projekte in ihrem Sinne verwirklichen
können.
Ich glaube, daß dieser realitätsorientierte Umgang
mit dem Verlust ihren eigenen Vorstellungen ganz gut entspricht. So ganzheitlich
wie sie die Pädagogik begriffen hat, so ganzheitlich hat sie auch ihr Leben
begriffen: realistisch, mit klaren vorwärts gerichteten Zielvorstellungen -
Realutopien könnte man sagen - getragen von einem Vertrauen in die eigenen
Kräfte der Überzeugung und gestärkt durch eine religiös fundierte Weltsicht.
Sie wird uns fehlen.
Wir werden sie vermissen und wir werden uns nach Kräften bemühen, ihre Arbeit
in Frankfurt lebendig weiterzuführen.
Prof. Dr. Adelheid
Staudte
Institut für Kunstpädagogik
Fachbereich Klassische Philologie und Kunstwissenschaften
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Institut für Kunstpädagogik
Fachbereich Klassische Philologie und Kunstwissenschaften
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen