Glückwünsche zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Gertrud Weismantel (1916-1989) am 17. Juni 2016



Liebe Alumni, liebe Studierende,  
am 9.11.1989 ist Frau Prof. Dr. Gertrud Weismantel ganz plötzlich im Alter von 73 Jahren verstorben. Als Nachfolgerin auf ihrem Lehrstuhl am Institut für Kunstpädagogik seit 1984 hatte ich sie noch vor allem bei dem gemeinsamen Promotionsverfahren unserer Pädagogischen Mitarbeiterin Maike Aissen-Crewett (die spätere Professorin in Potsdam) kennen- und schätzen gelernt.
Das Gedenken zu dem 100. Geburtstag an eine der wenigen früheren Professorinnen der Goethe-Universität ist mir ein besonderes Anliegen und ich freue mich, dass ihr früherer Kollege Professor Wolf Spemann für den Uni-Report eine Erinnerung an sie verfasst hat – für die er allerdings sehr strickte Platzvorgaben einhalten musste. Im Internet finden sich leider nur Informationen über ihren berühmten Vater Leo Weismantel, aber in meinen Unterlagen habe ich wenigstens noch den Text meiner Ansprache bei ihrer Beerdigung als damalige Prädekanin für den Fachbereich Klassische Philologie und Kunstwissenschaften gefunden, aus dem ihre Persönlichkeit und ihre wissenschaftliche Position vielleicht etwas plastischer erkennbar werden. Ich würde mich freuen, wenn sich durch diese Anregung über das Alumni-Netzwerk  auch noch weitere ehemalige Kolleginnen und Kollegen oder ehemalige Studierende zu Wort melden würden – diese erinnern sich vielleicht besonders an ihre letzten Veranstaltungen zum Puppenspiel am Institut. Frau Weismantel wurde zwar schon vor mehr als 25 Jahren 1982 emeritiert – aber vielleicht haben wir ja Glück und können noch einige Spuren ausfindig machen! 
Adelheid Sievert (-Staudte), geb. 1944, 1980-1984 Professorin für Kunstdidaktik der Primarstufe an der Universität Gießen, 1984-2009 o. Professorin für Kunstpädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main


Zum Gedenken an Professor Dr. Gertrud Weismantel (1916–1989)
von Prof. Dr. Wolf Spemann veröffentlicht im
UniReport | Nr. 3 | 3. Juni 2016 | Jahrgang 49 | Goethe-Universität Frankfurt am Main, S. 22.

Am 17. Juni diesen Jahres ist der 100. Geburtstag von Frau Professor Weismantel. Sie hat über 40 Jahre unser Institut für Kunstpädagogik entscheidend mit geprägt und den FB 9 Klassische Philologie und Kunstwissenschaften beeinflusst. Darum soll ihr dieser Rückblick gewidmet sein. Beruflich war ihr Lebensziel, mitzuwirken an einer Änderung der Schule, damit Kinder und Jugendliche mehr Freude am schulischen Lernen haben. Nach dem Abitur 1935 wollte sie alle Institutionen kennenlernen, die vom Kindergarten an ein Kind beeinflussen. Danach studierte sie in Würzburg und München Volkskunde, Kunstgeschichte und Pädagogik. 1943 promovierte sie in Volkskunde. Seit 1947 vertrat sie in der Hessischen Lehrerbildung das Fach Werken in Jugenheim (Bergstraße), bis sie am 01.01.1964 an unsere Universität kam. Am 04.03.1970 wurde sie zur ordentlichen Professorin für Kunsterziehung
ernannt. Gleichzeitig erhielt sie den Auftrag, ein Pilotprojekt für das Fach Polytechnik
zu konzipieren. 1967 hatte sie einen breit angelegten Aufsatz „Werken in der Schule der Zukunft“ veröffentlicht, der einen handwerklich-technischen Teil vorsah. Sie meinte, die Hauptschüler kann man nur engagieren, wenn man ihnen Aufgaben gibt, an denen sie von sich aus großes Interesse haben: Ein Moped zerlegen, daran Physik, Mathematik und Chemie lernen, um es wieder zusammenzubauen. Sie dachte nie in ausgefahrenen Gleisen. Die Unerschrockenheit, mit der Gertrud Weismantel ihren Vater, den Reformpädagogen Leo Weismantel 1944 in einem Sonderlager der GESTAPO in Würzburg besuchte, hat sie auch 1968 gezeigt. Während andere Professoren sich rarmachten, ging sie als Einzige zu einer institutsinternen Vollversammlung und diskutierte mit den aufgebrachten Studenten und Studentinnen. Sie war zum Dialog bereit, ohne von ihrer Überzeugung abzuweichen. Nach ihrer Emeritierung 1982 hat sie bis zu ihrem Tod Ende 1989 weiter an unserem Institut gelehrt. Ihr gebührt unser herzlicher Dank.

Wolf Spemann
Ansprache zur Trauerfeier
für Frau Prof. Dr. Gertrud Weismantel
am 15.11.1989 in Jugenheim/Bergstraße
Ich möchte im Namen des Fachbereichs Klassische Philologie und Kunstwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt als Prädekanin hier sprechen, zu dem das Institut für Kunstpädagogik  gehört. Zugleich aber auch als die Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl für Kunstpädagogik von Gertrud Weismantel. Ich verdanke es sicher auch ihrem Wirken und ihrem Vorbild, daß diese Stelle wieder mit einer Frau besetzt wurde.
Ich habe drei Kollegen in Frankfurt, die den beruflichen Lebensweg von Frau Weismantel vom "Haus am Wald" hier in Jugenheim bis nach Frankfurt mit ihr geteilt und mit ihr zusammen erlebt haben. Uns alle möchte ich hier an diesen Teil ihres beruflichen Lebens erinnern, der zugleich ein Beispiel dafür ist, wie unmittelbar in den vergangenen 30 Jahren bildungspolitische Entscheidungen die Entwicklung der Fachdidaktiken immer wieder von außen her lenkend mitbestimmt haben. Ganz und gar kein abgeschiedener Elfenbeinturm also - sondern für Frau Weismantel von Anfang an ein Leben in der praktischen Wissenschaft, die 0rientierung für pädagogisches  Handeln geben will, wie sie es schon im Elternhaus erfahren hatte.
Ich habe schon das "Haus am Wald" des Pädagogischen Instituts in Jugenheim erwähnt, wo noch unter einem Dach Leben und Arbeiten mit Studentenwohnheim, Werkstätten und Seminarräumen vereint waren. AIs Professorin für Werkerziehung hat hier Frau Weismantel diesem Fach ein eigenständiges Gesicht gegeben, hier hat sie das verwirklichen können, was für sie den bildenden Gehalt dieses Faches ausmachte - in Theorie und Praxis, in intensiver Auseinandersetzung mit Kopf, Herz und Hand, wie schon Pestalozzi gefordert hatte.
Es scheint mir nicht zufällig, daß sie gerade dieses Fach aus dem Spektrum der sog. "musischen Fächer" vertreten hat, verbindet es doch in paradigmatischer Weise die klassische Dreiheit des Zugangs zur Bildung: die ästhetische, die wissenschaftlich-rationale und die ethisch-moralische Bildung.
Den Prozeß  der "Verwissenschaftlichung" der Lehrerbildung hat sie in allen seinen aus heutiger Sicht durchaus korrekturbedürftigen Polarisierungen miterlebt und -erlitten. Zum Erleiden zählte für sie selbst die Eliminierung der Werkerziehung aus dem Fächerkatalog der Lehrerbildung 1964 und die Auseinandersetzungen um die Entwicklung der Polytechnischen Bildung in Hessen. Dabei stand sie dem neuen Bezugsfeld der Technik durchaus aufgeschlossen gegenüber und leitete nach der Integration der Lehrerbildung in die Frankfurter Universität zunächst einen Modellversuch zur Polytechnik. Erst als sie den Eindruck gewann, daß dieses Fach in der Hauptschule ohne den für sie unverzichtbaren schülerbezogenen praktischen Kern etabliert werden sollte, beendete sie diese Arbeit, da sie sich immer in erster Linie dem Erziehungsauftrag ihres Faches verpflichtet fühlte.
Auch in den heftigen Diskussionen um die Weiterentwicklung der Kunst- und Werkerziehung Ende der 60er Jahre  in Frankfurt hat sie sich mit diesem pädagogischen Engagement im Sinne einer praktischen Menschenbildung eingesetzt und mit großer Zivilcourage den Dialog mit anderen Positionen aufgenommen. Auch wenn das Ergebnis nicht immer zum Konsens führte, Respekt und Achtung für ihr eigenständiges unerschrockenes  Auftreten waren ihr sicher. So habe auch ich sie nach ihrer Emeritierung kennen und schätzen gelernt als eine Kollegin, die den sicher für niemanden einfachen Übergang aus dem Amt und die Übernahme  des eigenen Wirkungsbereiches durch eine Nachfolgerin mit großer Souveränität und Offenheit gelebt hat.
Sie wissen alle, daß sie bis zuletzt mit unverminderter Schaffensenergie gearbeitet hat - dies galt auch für ihre Vorlesungen und Oberseminare im Institut für Kunstpädagogik,  die für sie bis zuletzt eine lebendige und belebende Aufgabe waren - und für alle ihre Studentinnen und Studenten ein geistiger und menschlicher Gewinn. Auch ihr letztes Projekt einer Inszenierung eines Puppenspiels, das nun ohne sie zu Ende geführt werden muß, verdeutlicht noch einmal exemplarisch ihre spezifische Vorstellung von kindorientierter ästhetischer Bildung. Am Beispiel von "Momo" sollte das Problem der Zeit in unserer Zeit in kindgerechter Darstellungsform wirksam werden - wir werden versuchen, es in ihrem Sinne zu einem guten Abschluß  zu bringen.
Das gleiche gilt für ihr Angebot, sich an unserer Veröffentlichung  einer Ringvorlesung zur Kunstpädagogik in Frankfurt zu beteiligen - auch hier werden wir versuchen, sie in ihrem Sinne zu beteiligen.
Ihre weiteren und durchaus schon konkreten Pläne für ein Kindermuseum, in die sie auch uns einbezogen hatte, wurden hier schon angesprochen. Wir alle stehen hier ja in der gleichen Situation: Frau Weismantel ist mitten aus einem erfüllten Leben von uns gegangen - ihr sind damit die schmerzhaften Erfahrungen des Altwerdens erspart geblieben - wir müssen nun sehen, wie wir die begonnenen Projekte in ihrem Sinne verwirklichen können.
Ich glaube, daß dieser realitätsorientierte Umgang mit dem Verlust ihren eigenen Vorstellungen ganz gut entspricht. So ganzheitlich wie sie die Pädagogik begriffen hat, so ganzheitlich hat sie auch ihr Leben begriffen: realistisch, mit klaren vorwärts gerichteten Zielvorstellungen - Realutopien könnte man sagen - getragen von einem Vertrauen in die eigenen Kräfte der Überzeugung und gestärkt durch eine religiös fundierte Weltsicht.
Sie wird uns fehlen. Wir werden sie vermissen und wir werden uns nach Kräften bemühen, ihre Arbeit in Frankfurt lebendig weiterzuführen.

Prof. Dr. Adelheid Staudte
Institut für Kunstpädagogik
Fachbereich Klassische Philologie und Kunstwissenschaften
Johann Wolfgang Goethe-Universität





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